Oald Bensem - Die Bensheimer Heimatvereinigung


Mundart und Geschichte der Heimat - ein besonderer Stammtsich

Ende der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts, in einer Zeit politischen Unfriedens und wirtschaftlicher Not, scharte Joseph Stoll junge Menschen um sich und unterrichtete sie über die Geschichte seiner Heimat. Dieser Kreis Gleichgesinnter traf sich stammtischmäßig in der Gaststätte "Bürgerliches Brauhaus" und nach einiger Zeit bildete sich aus dieser Gemeinschaft die Heimatvereinigung "Oald Bensem". Als um 1930 der Wunsch laut wurde, beim neu ins Leben gerufenen Winzerfest immer eine Gruppe Stadtsoldaten mitwirken zu lassen, stellte Joseph Stoll in der Heimatvereinigung die Bürgerwehr auf.


Oald Bensem - Bürgerwehr

Erster Auftritt, anlässlich des zehn jährigen Stiftungsfestes der Vereinigung "Alt Weinheim" am 5.7.1931
Bereits bei ihrem ersten Auftreten, anlässlich des zehn jährigen Stiftungsfestes der Vereinigung "Alt Weinheim" am 5.7.1931, konnte diese Gruppe einen vollen Erfolg verzeichnen. Eine weitere Trachtengruppe entstand gar bald, die bei Stolls Vorliebe für die Biedermeierzeit mit entsprechenden Kostümen ausgestattet wurde. Auch für die Bürgerwehr nahm er sich die Uniformierung der in der Biedermeierzeit bestehenden hessischen Landwehr als Vorbild. Mit viel Idealismus wurde so die beste Werbetruppe für Bensheim aufgestellt. Die Mitglieder der neuen Vereinigung trafen sich nun regelmäßig. Bei den Zusammenkünften wurden volkskundliche Themen besprochen, die Bensheimer Stadtgeschichte behandelt und es wurden Befragungen durchgeführt. Vor allem aber wurde die Bensheimer Mundart gepflegt. So war es Joseph Stoll auch möglich, zum südhessischen Wörterbuch einen wesentlichen Beitrag zu liefern.
Um für Bensheim zu werben, fuhren die Trachtenträger auch in die Ferne. Sie besuchten Heimat- und Trachtenfeste und ernteten ob ihres guten Auftretens regelmäßig Anerkennung und Erfolg. 
Mit der Entwicklung und der Zunahme des Fremdenverkehrs vor dem Krieg, übernahmen die Mitglieder der Heimatvereinigung weitere Aufgaben. Meist wirkten sie beim Empfang der Gäste mit, die mit Sonderzügen hier eintrafen. 



Bensemer Owende

Doch nicht nur dies, auch zur Unterhaltung trug man bei. Zeitgenössischen Presseberichten ist zu entnehmen, dass die Gäste sehr häufig am Vereinsleben durch Besuch der Versammlungen teilnahmen, dort mit Stücken in Reim und Prosa von Joseph Stoll unterhalten wurden, sich an Bensheimer Witz ergötzten und in unserer Stadt wohlfühlten. Sehr beliebt und gefragt waren auch die sogenannten "Bensemer Owende". Theaterstücke von Joseph Stoll, Vorträge in Mundart, Tänze und Musikstücke wechselten dabei einander ab. Das Auftreten der Trachtengruppen belebte die Szene.



Aus Bensem, in Bensem, für Bensem

Quelle: Stadtarchiv Bensheim, Bereich: Hasengasse lfd.No. 0011 - Bild des HasenviertelsMitte der 1930er Jahre
Quelle: Stadtarchiv Bensheim
Ein besonderes Anliegen Stolls war es, das Stadtbild zu verschönern. Das liebevoll ausgemalte Hasengassenviertel wurde zu einer Sehenswürdigkeit in Bensheim. Die Oald Bensemer halfen dabei getreulich. Es wurde sehr vieles in dieser Zeit geschaffen. Leider fiel manches inzwischen der Zerstörung anheim, aber allerorten finden wir noch Zeugen dieser Bemühungen. Auch im Bereich der näheren Umgebung war man tätig. So steIlten Mitglieder der Bürgerwehr für die vordere Kuppe des Vetzersberges gar einen Bürgerwehrtisch her. Diese Anstrengungen fanden Anerkennung und es kamen gern Gäste nach Bensheim. Besonders zeigte sich dies am Winzerfest, das alle Veranstaltungen überragte. 



Krieg vorbei - alles aus?

Der Zweite Weltkrieg unterbrach die Tätigkeiten der Heimatvereinigung. Kriegs- und Nachkriegsjahre brachten empfindliche Verluste. Viele Mitglieder kehrten nicht mehr in die Heimat zurück und in den Wirren der Nachkriegszeit ging vieles verloren. Doch trotz großer Belastungen ließ sich Joseph Stoll nicht entmutigen und wagte einen neuen Anfang. Von seinen Getreuen unterstützt, gab er der Vereinigung neues Leben. Noch vorhandene Trachten und bereits zweckentfremdet verwendete Ausrüstungsstücke wurden wieder zusammengetragen und instand gesetzt. Viele Mitglieder schneiderten sich neue Kostüme auf eigene Kosten und die Zusammenkünfte kamen wieder zustande.
Bei den nun regelmäßig durchgeführten Monatsversammlungen berichtete Stoll über die Ergebnisse seiner Heimatforschung, führte die Befragungen weiter und arbeitete am Bensheimer Wörterbuch. Referenten für ihm fremde Themen wusste er mit Geschick zu gewinnen und der Umfang heimatkundlicher Stoffe wurde beträchtlich erweitert. Die Schwierigkeiten der Nachkriegsjahre wurden überwunden und gar bald traten die Trachten wieder in der Öffentlichkeit auf, mit Beifall begrüßt. Oald Bensem beteiligte sich wieder an Festen in der näheren Umgebung, nahm teil am Pfirsichfest in Zwingenberg und am Schloßfest in Alsbach. Die Vereinigung fuhr auch wieder in die Ferne und besuchte Winzerfeste in Bingen und Bacharach und beteiligte sich am Biedermeierfest in Eltville. Überall wurde sie mit ihrer Biedermeiergruppe und der Bürgerwehr gut aufgenommen. Ein besonderes Erlebnis war die Teilnahme an der Verkehrsübergabe der wiedererrichteten Rheinbrücke bei Worms. Die Presse berichtete hierüber ausführlich. Auch die Fahrten in den Schwarzwald wurden wieder aufgenommen und Orte wie Schrammberg, Waldkirch und Villingen waren bald auch den neuen Mitgliedern bekannt. Oald Bensem hatte sich Anerkennungen errungen. Die Vereinigung erhielt Einladungen aus dem In- und Ausland. Es seien hier die Teilnahmen erwähnt am Fest der Stadtrechtsverleihung in Pfeddersheim, der 1200 - Jahrfeier des Hunsrückortes Biebern, der Landestreffen in Mengen, Saulgau und Sipplingen sowie die Erringung des Ehrenpreises beim großen Trachtentreffen in der alten Kaiserstadt Speyer. In Weißenburg/Elsaß besuchte die Vereinigung den Pfingstmarkt und in Antwerpen nahm sie an einem internationalen Treffen teil.
Ein reges Vereinsleben entwickelte sich in den fünfziger Jahren. Auch Oald-Bensemer-Owende wurden wieder durchgeführt und oft war das Interesse der Bevölkerung so groß, daß der Saal nicht alle Besucher fassen konnte. Ein festlicher Höhepunkt dieser Jahre war die Feier der Marktrechtsverleihung 1956. Es war zur Selbstverständlichkeit geworden, Oald Bensem bei allen besonderen Anlässen präsent zu sehen. Joseph Stoll hatte es verstanden, die Heimatvereinigung zu einem kulturellen und heimatkundlichen Mittelpunkt von Bensheim auszubauen. Als er dann überraschend am 27.9.1956 verstarb, war das nicht nur ein schwerer Verlust für die Heimatvereinigung, sondern auch für Bensheim und alle seine Freunde im weiten Land.

Den 1. Vorsitz übernahm nunmehr Egon Stoll-Berberich; die Geschäftsführung lag während seiner Abwesenheit in den Händen von Hans Roth, dem alten Mitarbeiter von Joseph Stoll. Beide führten die Vereinigung im Sinne ihres Gründers weiter. Zu Ehren des Verstorbenen erhielt der Platz an der Stadtmühle mit dem Denkmal der "Fraa vun Bensem" 1957 den Namen "Josef-Stoll-Platz". Eine weitere Anerkennung seiner Verdienste erfolgte mit der Errichtung der "Stoll-Passage", deren Einweihung 1969 mit einem großen Freundschaftstreffen der badisch- hessischen. Bürgerwehren verbunden war. In der Folge fanden zwar immer noch Vorträge über interessierende Themen statt, die Vereinigung trat jedoch mehr und mehr repräsentativ auf. Sie empfing ausgewanderte Bensheimer aus Amerika, war bei offiziellen Anlässen wie Aufnahme des elektrischen Bahnbetriebes oder Verkehrsübergabe der Autobahn zur Stelle und wirkte bei der Neueröffnung des Hotels "Krone" mit. Zur Eröffnung des "Wehrkundlichen Museums" fuhren die Trachtengruppen nach Rastatt. An Trachten- und Heimatfesten von Titisee bis Ober-Ramstadt beteiligten sie sich und auch in der Schwesterstadt Beaune vertraten die Oald Bensemer ihre Vaterstadt. Erlebnisse besonderer Art waren die Teilnahmen am Schwarzpulverschiessen in Schwäbisch-Hall und ein Neujahrsempfang der Trachtengruppen bei den weltlichen und kirchlichen Behörden in Freiburg. Einen weiteren schmerzlichen Verlust erlitt die Heimatvereinigung mit dem plötzlichen Tod von Egon Stoll-Berberich am 2.5.1973. Hans Roth übernahm nun den 1. Vorsitz und führte die Geschäfte in gewohnter Weise weiter. Sehr engagiert setzte man sich für die Erhaltung alter Adelshöfe ein. Mitglieder des Vereins beteiligten sich bei der Ausgrabung keltischer Hügelgräber der Bronzezeit. Eine im letzten Jahrzehnt aufgebaute Jugendgruppe wirkte mit bei der "Aktion Sorgenkind". Wesentliche Aufgaben übernahm Oald Bensem bei der 1200-Jahrfeier Bensheims 1966 und beim Hessentag 1976. Im Jahr 1979 richtete es das Landestreffen der Bürgerwehren aus. Die Vertretung der Vaterstadt bei Hessentagen ist selbstverständlich, das Auftreten bei der Eröffnung des Weinmarktes in Heppenheim wird zur Regel und die Durchführung des Bergsträßer Winzerfestes in Bensheim ist ohne die Beteiligung von Oald Bensem undenkbar. Das Wirken für die Heimat honorierte die Stadt in großzügiger Weise. Sie stellte 1977 der Heimatvereinigung den restaurierten "Walderdorffer-Hof" zur Verfügung, womit die seither so belastenden Unterkunftsprobleme gelöst waren. Die neuen Vereinsräume wurden ansprechend ausgestattet Lind bieten nicht nur Mitgliedern gemütlichen Aufenthalt. Um bei öffentlichen Auftritten nicht immer von fremden Klangkörpern abhängig zu sein, begann man 1979 einen Spielmannszug aufzubauen. Bis heute stellen die verschiedenen Gruppen der Heimatvereinigung einen festen Bestandteil bei vielen Veranstaltungen in dar und repräsentieren Bensheim weit über die Region hinaus.


entnommen: Heimatvereinigung "Oald Bensem" (Hrsg): Festschrift zum 50 jährigen Jubiläum der Heimatvereinigung "Oald Bensem" e.V. , Historischen Bürgerwehr "Joseph Stoll Bensheim und Biedermeiergruppe, Bensheim, 1981, Seite 14-20. Adaptiert: Stoll-Berberich 2015.